Stephan, wir müssen reden! Ein offener Brief zur aktuellen Debatte um die inhaltliche Ausrichtung der SPD

Veröffentlicht am 29.07.2014 in Aus den Arbeitsgemeinschaften

In einem offenen Brief positionieren sich die Jusos in Niedersachsen in der Debatte um die inhaltliche Ausrichtung der SPD auf Bundesebene, die der niedersächsische Ministerpräsident, Stephan Weil, am vergangenen Donnerstag, den 24. August 2014, mit einem Gastbeitrag im Politmagazin Cicero angestoßen hatte. Hier der Wortlaut des offenen Briefes:

Lieber Stephan Weil,

mit Deinem Gastbeitrag im Cicero hast du eine wichtige Debatte angestoßen. Du hast die Frage in den Raum gestellt, wie die SPD wieder zu Wahlergebnissen kommt, mit denen eine Wahl auch gewonnen werden kann. Im großkoalitionären Überschwang der ersten Regierungsmonate hat die Bundes-SPD genau diese Debatte versäumt. Weder wurde nach Gründen, noch nach Lösungen für die erneute krachende Wahlniederlage gesucht.
Dass Du also nun dafür sorgst, dass diese Debatte endlich geführt wird, ist vollkommen richtig.

Vollkommen falsch sind nach unserem Erachten hingegen einige Deiner Schlussfolgerungen.

So schreibst Du zwar, dass sozialdemokratische Politik kein Erfüllungsgehilfe der Wirtschaft sein darf und die Senkung von Steuern und sozialen Standards nicht propagiert werden dürfe. Allerdings schreibst Du noch im gleichen Artikel, dass wettbewerbsfähige Standortkosten geschaffen werden müssen. Eine Antwort, wie das geht ohne, dass auf typisch neoliberale Werkzeuge, wie eben eine Steuersenkung für Unternehmen oder gar Lohnkürzungen, zurückgegriffen werden muss, bleibst Du uns schuldig. Auch schreibst Du davon, die SPD müsse einen wirtschaftskonzentrierten Wahlkampf führen und mehr sein als nur der „Betriebsrat“ der Bevölkerung, sondern lieber das „Management“. Um in Deiner Wortwahl zu bleiben: wenn sich die Frage stellt auf wessen Seite die SPD stehen sollte, auf der der Beschäftigten oder auf der des Managements, dann sollte die Antwort eigentlich klar sein. Gute Arbeit ist mehr als der pure Arbeitsplatz und die Parole „Sozial ist, was Arbeit schafft“ liegt zu recht vergraben im hintersten Winkel des Thomas-Dehler-Hauses.

Der Grundirrtum, dem Du hier aufsitzt, ist einer, der viele Genossinnen und Genossen in unserer Partei umtreibt: die Meinung man könne Schröders 16 Jahre alten Wahlsieg von 1998 recyceln. Die Welt war 1998 eine andere. Wer glaubt, man könne jetzt mit dem gleichen Rezept an alte Erfolge anknüpfen, irrt.

Es ist mitnichten so, dass wir uns in Kompetenzfeldern profilieren müssen, die uns möglicherweise nicht zugeschrieben werden. Bei einer Umfrage des Göttinger Instituts für Demokratieforschung unter SPD-Parteimitgliedern zu Gründen der Wahlniederlage bei der letzten Bundestagswahl, rangiert „fehlende Wirtschaftskompetenz“ übrigens mit 5,7% abgeschlagen auf dem letzten Platz.
Vielmehr sollten wir doch die Chance ergreifen und unser Profil in unseren originären Kompetenzfeldern – soziale Gerechtigkeit, Bildung, progressive Gesellschaftspolitik – schärfen. Denn trotz Mindestlohn und Rentenpaket ist hier noch lange nicht das Ende der Fahnenstange erreicht. Es bleibt weiterhin die Frage, wie wir unser Leitbild der Guten Arbeit konkret umsetzen. Es bleibt weiterhin die Frage wie wir Bildungschancen in ganz Deutschland verbessern und endlich das Kooperationsverbot abschaffen. Und es bleibt weiterhin die Frage wie wir eine wirkliche Geschlechtergerechtigkeit durchsetzen.
Auf diese Art lässt sich das Vertrauen der Wählerinnen und Wähler zurückzugewinnen. Ein verlorenes Vertrauen, an dem ein gewisser Herr Schröder auch nicht ganz unschuldig war.

Lieber Stephan, was wir jetzt brauchen ist eine Partei, die ernsthaft über unsere Themen diskutiert und diese weiterentwickelt und keinen neuen „Genossen der Bosse“.

Mit solidarischen Grüßen
Benjamin Köster
Juso-Landesvorsitzender, Mitglied des Präsidiums und des Vorstandes der SPD Niedersachsen

UnterzeichnerInnen
Siemtje Möller, stellv. Juso-Landesvorsitzende
Knud Hendricks, stellv. Juso-Landesvorsitzender, Mitglied des Vorstandes der SPD Niedersachsen
Pia Klein, stellv. Juso-Landesvorsitzende
Adrian Schiebe, stellv. Juso-Landesvorsitzender
Annika Bents, stellv. Juso-Landesvorsitzende
Stephan Reinisch, stellv. Juso-Landesvorsitzender
Arne Zillmer, stellv. Juso-Landesvorsitzender
Matthias Bock, stellv. Juso-Landesvorsitzender
Aline Rennebeck, Bezirksvorsitzende Jusos Nord-Niedersachsen
Florian Vorbeck, Bezirksvositzender Jusos Nord-Niedersachsen
Philip Le Butt, Bezirksvorsitzender Jusos Hannover
Johanna Klingbeil, stellv. Bezirksvorsitzende Jusos Hannover
Leonard Kuntscher, stellv. Bezirksvorsitzender Jusos Hannover
Joris Sprengeler, stellv. Bezirksvorsitzender Jusos Hannover
Marcus Biewener, stellv. Bezirksvorsitzender Jusos Hannover
Daniel Schweer, Bezirksvorsitzender Jusos Weser-Ems